„Die Langeweile schlich durchs Haus …“
(Theater)Kritiker können mitunter erbarmungslos sein. Diese Erfahrung musste auch das Ensemble des Innsbrucker Stadttheaters machen. Zur Premiere von Carl Zellers Operette „Der Obersteiger“ (uraufgeführt 1894 im Theater an der Wien) am 16. Feber 1913 entsandten die konservativen Neuen Tiroler Stimmen ihren Kritiker ins Haus am Rennweg. Was genau an diesem Abend vorfiel, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Auffallend ist aber, dass nach den großen Vorankündigungen in den Innsbrucker Nachrichten und dem Allgemeinen Tiroler Anzeiger dort keine Besprechungen der Aufführung erschienen. Die Neuen Tiroler Stimmen, die dem Stadttheater ohnehin eher kühl gegenüberstanden, hielten sich jedoch nicht zurück und brachten am 17. Feber eine vernichtenden Kritik. Wörtlich heißt es da:
Gestern probierte man es wieder einmal mit dem „Obersteiger“. Und tatsächlich die Wiedergabe dieser Operette glich mehr einer Probe als einer wohlausgeglichenen und wohlvorbereiteten Aufführung. Der erste Akt war ziemlich ein Chaos, ein Durcheinander, bei dem sich sowohl die Zuschauer als auch die Mitwirkenden nicht recht bewußt wurden, wieso, weshalb, warum? Am schrecklichsten lagen die Dinge beim Chor, der daneben pfiff, wie eine alte Drehorgel und dazu lachte. Herr Stelzer als Obersteiger gab sich alle Mühe, das Werkel über Wasser zu halten, allein die paar Kalauer vermochten über das Prekäre der Situation nicht hinwegzuhelfen. Am besten war Frl. Birlinger als Comtesse und Frl. Berndt als Nelly. Herrn Bratts Tenor klang gestern schrill und sein Spiel entbehrte der Beweglichkeit. Herr Morocutti und Frl. Swoboda suchten Humor in die Sache zu bringen, ebenso die Herrn Devil und Daurer, allein es gelang nicht. Die Langweile schlich durchs Haus und man war froh, als endlich die zehnte Nachtstunde schlug.
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, Ph-34318)