Dä gehn mir net mehr hin!
Vielleicht erinnern Sie sich noch. Vor zwei Jahren hat mein Kollege Joachim Bürgschwentner an dieser Stelle ausführlich über die Kontroversen rund um die „Bismarckstraße“ respektive den „Bismarckplatz“ geschrieben. Nun ist mir der dazugehörige Akt in die Hände gefallen, in dem sich u.a. das oben abgebildete Schreiben eines Herrn Dr. G. Petzoldt, seines Zeichens Vorstand der 450 Mitglieder zählenden Ortsgruppe Plauen des „Alldeutschen Verband“, findet. Er fühlte sich berufen, sich in die Innsbrucker Debatte einzumischen, setzte sich an die Schreibmaschine und schrieb:
An den Herrn Bürgermeister zu Innsbruck (Tirol).
COML 1925, Gruppe I, Abschnitt 79 Straßen und Plätze – Benennungen, Fasz. Bismarck Platz und Kaiser Wilhelm Straße.
Aus Innsbrucker Zeitungen ersehe ich, daß in der Gemeindevertretung von Innsbruck der Antrag eines Gemeinderates, eine Straße nach dem Schöpfer des deutsch-österreich-ungarischen Bündnisses, Bismarckstrasse, zu benennen, auf Widerspruch gestoßen, und daß die Entschließung auf den Antrag schließlich vertagt worden ist.
Ich enthalte mich jeder näheren Bemerkung hierüber, betone aber das eine:
Ich habe seit etwa 20 Jahren mindestens 10 Mal Tage und zum Teil wochenlang in Innsbruck mit meiner Frau und Freunden zusammen geweilt. Wenn aber nach Beendigung des Krieges Innsbruck keine Bismarckstraße oder Bismarckplatz hat, die sich sehen lassen können, so haben ich und meine Frau das letzte Mal in Innsbruck Geld, das bisher in Innsbruck noch nie Anstoß gefunden hat, sitzengelassen, und was an mir und meine Frau liegt, soll geschehen, daß auch andere darnach handeln.
Heil deutscher Zukunft!
Rechtsanwalt Dr. Petzoldt
Petzoldts Stil und Argumentation erinnern stark an den aus der Piefke-Saga bekannten Karl-Friedrich Sattmann und sein legendäres Standard-Sprüchl: „Wir reisen ab!“ Letzlich hat sich aber der „alldeutsche“ Herr Doktor aus Sachsen gänzlich umsonst echauffiert, denn die „deutschfreiheitliche“ bzw. deutschnationale Mehreheit im Innsbrucker Gemeinderat war fest entschlossen, diesmal die Namensgebung gegen alle Widerstände durchzudrücken und so erhielt Innsbruck Mitten im Ersten Weltkrieg tatsächlich einen Bismarckplatz …
Bei diesem Brief gruselt, schaudert und amüsiert es einen über so viel deutsche Borniertheit geradezu im gleichen Moment und Atemzug…. Geradezu eine prophetische Vorwegnahme der Piefke-Saga um ca. 70 Jahre…..
Ebenso interessant ist der Aufdruck auf der Bismarck-Marke „Keine Fußbreit deutscher Erde darf verloren gehen“ und der Gruß „Heil deutscher Zukunft“. Wenn der Herr Petzoldt von 1914 wüsste, wieviel „deutsche“ Erde in Ostpreußen und Schlesien nach dem 2. Weltkrieg inkl. Vertreibung der kompletten alteingesessenen Bevölkerung verloren gegangen ist….
Dieser Brief ist auch ein Beispiel wie sorgfältig der Magistrat seine Dokumente registriert und abgelegt und überliefert hat.
Der Briefschreiber ist auf Grund seiner Geisteshaltung und anderer Possen in der Presse kein Unbekannter. Zur Vita des Dr. Petzoldt lässt sich sagen, dass dieser sogar die Operette „Die Lustige Witwe“ von Franz Lehar als anstößig empfunden hat und sich darüber öffentlich im Stadtrat beschwerte. Die Freien Stimmen vom 17. April 1907 berichten:
„Die lustige Witwe— anstößig. Darüber wird
geklagt in— Plauen. Der Stadtverordnete Dr.
Petzoldt brachte die Unanständigkeit der Lehar´
schen Operette sogar im Stadtrat von Plauen
zur Sprache: „Sie gehört wegen ihrer Anstößig-
keit auf keine anständige Bühne,“ erklärte der
Herr Stadtverordnete. Nun scheinen aber die
hochehrsamen Bürger von Plauen an der „Lusti-
gen Witwe“ dennoch sündhaftes Gefallen gefun-
den zu haben, denn das Werk wurde dieser Tage
in Plauen zum fünfundzwanzigstenmal gegeben.
Das gab Anlaß zu einer zweiten Debatte im
Stadtrat zu Plauen. Ein Stadtrat meinte, die
wiederholte Aufführung der „Lustigen Witwe“
bedeute eine Verhöhnung des Gemeinderates.
Der oben genannte Dr. Petzoldt fragte, ob nicht
auf Grund des Vertrages eine Verhinderung
ähnlicher Vorkommnisse in Zukunft möglich sei.
Der Oberbürgermeister Schmid beschwichtigte. Es
würden „ähnliche Veranstaltungen“ nicht mehr
stattfinden.“
Abgesehen davon ist aber Plauen ein recht nettes Stätdchen. Lebendige Altstadt, drumherum etwas britische New-Town Atmosphäre, die aber durch die dort fahrende Straßenbahn deutlich abgemildert wird. Einige Gründerzeit und Heimatstilviertel erahlten. Auch die Plattenbauten in der weiteren Umgebung haben fast schon etwas Malerisches durch die starke Durchgrünung.
Aber auch ich kann mich gerade dort an ein Erlebnis mit den ordnungsliebenden Preussen erinnern, die uns freundlich bei der Stadteinfahrt von der Elstertalsperre komend über die Ölsnitzerstraße auf die Radwegbenutzungspflicht hinwiesen. Blöderweise war eben dieser Radweg ein einseitger Gehsteig (mit der blauen Scheibe) stadteinwärts, stadtauswärts, war derselbe tatsächlich als Radweg markiert. Als Gast habe ich natürlich „weisungsgemäß“ gehandelt und gehofft, dass ich nicht dann noch von einen preussischen Polizisten (mit Pickelhaube) wieder sonstwohin verjagt werde. Spätestens seither wundere ich mich jedenfalls nicht mehr, wenn Deutsche bei uns auf dem Gehsteig radeln.
Zum Brief noch eine Frage: Wie sah die Antwort des Magistrats aus. Kommen wir da ähnlich schlecht weg, wie die Tiroler in der Piefke-Saga? Oder hat man sich mit der Antwort zeitgelassen, bis alles „weisungsgemäß“ erledigt war?
Sie kennen sicher den Witz, wo Graf Rudi dem Grafen Bobby von einer Kränkung erzählt und sagt:
„I waaß ned – vielleicht sollt i’s aafach ignoriern?“
und ihm Graf Bobby antwortet:
„I täts n e d a m o i i g n o r i e r e n ….“
– und ich hoffe, das hat auch der zuständige Beamte getan mit obigem Schreiben.
Ich fürchte, die Tiroler resp. Innsbrucker kommen in diesem Fall nicht wirklich besser weg. Bürgermeister Greil hat sich die Einmischung nicht verbeten, sondern Herrn Dr. Petzoldt bereits am 20. Oktober 1914 beschwichtigend mitgeteilt, dass „die Benennung einer Straße nach dem großen deutschen Kanzler nur zurückgestellt wurde um eine Einigung in der Wahl der Straße zu erzielen. In der nächsten Sitzung [des Gemeinderates] wird der Antrag gestellt werden, die Straße vom Bahnhof zur Triumpfpforte „Kaiser-Wilhelm-Straße“ und den Platz bei der Triumpfpforte „Bismarck Platz“ zu taufen. Dieser Antrag wird einstimmig angenommen werden“, so Greil. Freilich wurden gegen den entsprechenden GR-Beschluss gleich mehrere Rekurse beim Tiroler Landesausschuss eingereicht – allerdings blieben diese Einsprüche, anders als 1899/1900, ohne Erfolg.
Plauen erinnert mich sofort an meinen Lieblingskarikaturisten Erich Ohser, zeichnete unter „E.O. Plauen“ weil er ja daher stammte. Seine „Vater und Sohn“ Geschichten sind das Beste, das mir im Karikaturenbereich (heute würde man sagen „Cartoonbereich“) je untergekommen ist. Soviel Liebe zwischen Vater und Sohn, die aus diesen Geschichten spricht, sucht ihresgleichen und habe ich in keinem „Cartoon“ jemals erlebt. Für mich eindeutig ein Weltklassekünstler. Leider wurde er Opfer eines schrecklichen Schicksals unter der Nazimörderbande.
…..wobei die Allergie des wackeren Plaueners gegen Lehars „Lustige Witwe“ ganz eindeutig in eine
a n d e r e Richtung geht:
„DIE LUSTIGE WITWE“
Operette in drei Akten
Text von Victor Léon und Leo Stein
Verlag Ludwig Döblinger (Bernhard Herzmansky)
Bühnenvertrieb Felix Bloch Erben.
Uraufführung Wien, 28.Dezember 1905,
„Theater an der Wien“
Oder????
Das ist natürlich eine interessante Beobachtung – über die „Die Lustige Witwe“ könnte man diesbezüglich wahrscheinlich ein ganzes Buch schreiben! Die Namen der jüdischen Librettisten Léon und Stein wurden bei Aufführungen in der NS-Zeit völlig ausgelassen.
Die Frau von Franz Lehár hieß Sophie. Sie war zwar Jüdin, wurde aber zur „Ehrenarierin“ erklärt.
Die Operette wurde zu Lebzeiten des Komponisten über 300.000 Mal aufgeführt und war angeblich Hitlers Lieblingsoperette…..
1938
„Lehar tat das, was seiner Natur und seiner Erziehung entsprach: als ungarischer Staatsbürger, der er zeitlebens war, blieb er in Österreich und verteidigte hier zwei gefährdete Posten, sein Werk und seine Frau. Daß dies kein Vergnügen war, liegt auf der Hand. Immer nur lächeln…. Nie war sein Leitmotiv zutreffender.“
(Franz Lehár Seine Musik – seinLeben – Glocken-Verlag Wien)
Die Verfasserin Maria von Peteani war eine gern gelesene Autorin von Unterhaltungsromanen der Zwischenkriegszeit.
„1000 Jahre lang“ mit „Schreibverbot“ belegt (siehe unter „Ariernachweis“!), war sie , aus einer Künstlerfamilie stammend, mit Lehar sowieso schon länger bekannt gewesen, so daß er sie mit seiner Biographie betraut hat. Anscheinend war er mit einer früheren Biographie (von Stan Czech) nicht ganz zufrieden gewesen
Merkwürdiges Zusammentreffen – ich blättere noch ein bißl im Lehar-Buch und finde aauf Seite 234 den Absatz:
„Erst am 30. Oktober vormittags fand nach einem feierlichen Requiem, im Beisein der Familie, der Vertreter des Staates und der amerikanischen Besatzungsmacht, das Leichenbegängnis statt. Menschenmassen säumten seinen Weg. Auf allen Balkonen, auf allen Dächern hingen Menschen, dicht wie Traubenbüschel.
Vor demLehàr-Theater vollzog sich die weltliche Verabschiedung. Der österreichische Minister für Unterricht, der Bürgermeister der Stadt Wien, der Landeshauptmann von Oberösterreich, die Vertreter des Autorenverbandes, die der Wiener Philharmoniker, des Schubertbundes, und viele andere Prominente hielten ergreifende Trauerreden….“