Birmingham meets Pradl
Wer einmal im englischsprachigen Raum unterwegs war und Schokolade nicht völlig abgeneigt ist, dem wird der Name „Cadbury“ ein Begriff sein. In drei Jahren wird das 1824 in Birmingham gegründete Unternehmen, inzwischen eine der größten Schokolademarken der Welt, ihr 200-jähriges Bestehen feiern können. Mehrere Mitglieder der Quäker-Familie fungierten als Oberbürgermeister (Lord Mayor) von Birmingham, darunter auch William Arlington Cadbury (1867–1957), dessen Unterschrift als Logo auf Schokoladetafeln weltweite Bekanntheit erlangte.
Was das alles mit Tirol und Innsbruck zu tun hat? Noch im ersten Jahr als Bürgermeister (1919-1921) rief Cadbury den „Lord Mayor of Birmingham’s European Famine Fund“ ins Leben, um in verschiedenen Teilen des Kontinents die katastrophale Ernährungslage nach dem Ersten Weltkrieg zu lindern. In Österreich konzentrierten sich die Aktivitäten auf Wien und Tirol. Im Sommer 1920 mietete man das Grand Hotel Kitzbühel und richtete darin das „Birmingham and District Children’s Hospital“ ein. Ziel war es, für vorerst vier Monate lang unterernährte Kinder in der Region zu versorgen (statt sie in die Fremde zu bringen) und Familienbesuche zu ermöglichen. (Allgemeiner Tiroler Anzeiger 25. Juni 1920, S. 4)
Im November 1920 übersiedelte das „Kinderheim der Stadt Birmingham“ ins Garnisonsspital Pradl. Anlässlich zweier Besichtigungen des Heims durch Politik und Interessierte im November 1920 und im März 1921 erschienen deraillierte Presseberichte über Organisation und Wirken der Institution:
Diese gliederte sich nun in zwei Abteilungen. Einerseits in ein Tageskinderheim, in dem das Aufpäppeln unterernährter Kinder im Vordergrund stand und in eine Krankenabteilung für Rachitis, in der unter anderem die Deformationen, die diese Mangelerkrankung hervorrief, orthopädisch bzw. chirurgisch korrigiert wurden. Wie der Allgemeine Tiroler Anzeiger am 23. November anlässlich einer Besichtigung berichtete, wurde das Heim durch die Stadt Birmingham „dauernd mit allen Nötigen versorgt, so daß dem Lande dadurch keinerlei Lebensmittel entzogen werden; im Gegenteil, es werden noch häufig Nahrungsmittel, namentlich Trockenmilch, an Bedürftige nach auswärts verteilt.“ Neben den etwa 100 längerfristig in den beiden Stationen versorgten Kindern kamen 90 weitere Kinder an einem Nachmittag in der Woche zum Essen und Spielen. Zudem wurden allein bis Anfang März 1921 zu billigen Preisen Kleider an knapp 700 Familien und wöchentlich Lebensmittel an knapp 200 Familien abgegeben. (Innsbrucker Nachrichten, 3. März 1921, S. 4)
Nach ziemlich genau einem halben Jahr war das englische Kinderheim in Pradl per 1. Juni 1921 aber bereits wieder Geschichte. Aufgrund der Teuerung in England und der rasant angestiegenen Arbeitslosigkeit in Birmingham stellte die Stadt ihre Aktivitäten am Kontinent ein. Dies bedeutete aber nicht das völlige Ende dieser Einrichtung im Garnisonsspital; sie wurde in der Folge zu einem Kinderfürsorgeheim des Landesverbands „Barmherzigkeit“ umstrukturiert.