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Buddenbrooks Reloaded Aus Mühlau, Band 1

Buddenbrooks reloaded aus Mühlau, Band 1

Die Geschichte von vier, fünf namhaften Loden- und einer Mehlfabrikantenfamilien in Innsbruck-Mühlau, Hall und Telfs wäre es wert, einen Stadtschreiber anzuheuern. Er könnte dann die komplexen Verflechtungen der Familien und ihrer Firmen Baur, Weyrer, Foradori, Rauch und Pischl in den letzten vier, fünf Generationen in ebenso vielen dicken Bänden zusammenfassen. Netflix würde darüber möglicherweise einen Sechsteiler herausbringen.

Na ja, vielleicht ist die Lübecker Stadtsaga doch etwa größer und ob man jemanden vom Kaliber eines Thomas Mann oder Gabriel García Márquez fände um das alles auch noch fesselnd niederzuschreiben muss offen bleiben. Zudem verkauften sich die Buddenbrooks lange schleppend. In Lübeck, dem Mühlau des Nordens, verlieh laut Wikipedia bald ein Buchhändler Entschlüsselungslisten, um die ganzen Anspielungen in Thomas Manns Buch konkreten Personen zuordnen zu können.

Sicher ist, dass es meines Wissens in Innsbruck niemanden gibt, der nicht jemanden aus den genannten Clan-Haupt und Nebenlinien kennt und so auch Interesse an der Mühlauer Industrie-Geschichte hat (und je nach Sympathie eine gewisse Parteilichkeit mitbringt). Das Innsbrucker Stadtarchiv ist letztes Jahr zwei Mal im „Areal“ tätig geworden, einmal um einen Familiennachlass zu sichten und einmal um große Teile des Firmenarchivs Foradori zu sichern.

Dabei wurde uns auch einiges zu den Gebäuden erzählt. Das, was die Innsbrucker:innen in toto Weyrerfabrik nennen, ist ja eigentlich die Baur-Foradori-Fabrik, hört man immer zuerst. Zu dieser Flurnamenbezeichnung könnte auch die im Titelbild sichtbare Beschriftung der neueren Gebäude an der Mühlauer Andreas-Hofer-Straße (heute Haller Straße) beigetragen haben. Im ewigen Wettstreit um die lokale Relevanz wurde hier gleich zwei Mal die Firma Joh. Math. Weyrer &Söhne in überdimensionalen Lettern angeschrieben, um die dahinter bachaufwärts werkende Konkurrenz zu ärgern. Dieses datierte Foto von Fridolin Arnold wurde kürzlich im Ho&Ruck gefunden und dem Stadtarchiv geschenkt.

Sowohl in der Firma Weyrer wie auch bei Baur und Foradori gab es – so wird es in den Begegnungen miterzählt – in jeder Generation unter den Söhnen die verschiedensten Führungskräfte-Charaktere, vom genialen Kaufmann bis herunter zum in Industriellenkreisen eher weniger geschätzten „Künstler“-Typen, der lieber zeichnete oder musizierte als rechnete und walkte und dann in höchster geschäftlicher Not ein Grundstück, einen Gebäudeteil, eine Produktionsstraße oder gleich die ganze Firma nach Konkurs an eine der anderen Mühlauer Familien verkaufen musste, um, weil man sich ja kannte, tags darauf vom neuen Besitzer mit einem Versorgungsposten in dessen Firma belohnt zu werden.

In der Öffentlichkeit wird die Mühlauer Industrie oft als Gruppe wahrgenommen. Sei es bei der Einführung von Licht und Telephon als Speerspitzen der Innovation 1886, sei es bei der überschaubaren Industrie-Abteilung der Tiroler Landesausstellung 1893, bei ihrem eigenen Engagement in der Dorfpolitik oder beim Vergleich der von den sozialdemokratischen Funktionären penibel aufgezählten Weihnachtsboni. Im Jahr 1891 wurde Weyrer&Söhne in der Berichterstattung herausgestrichen, als die Belegschaft zum 1. Mai als einzige in Innsbrucks Fabriken „feiern“ durfte (allerdings gegen Lohnabzug).

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