Tour de Gatsch
Szenen wie diese, die man heute von der Arzler oder Höttinger Alm kennt, gab es auch schon in den 1930er Jahren. Dieses besondere Quartett raste zunächst ohne Rücksicht auf Mensch und Material durch die Hügel des Mittelgebirges und posierte danach sichtlich stolz mit ihren ordentlich verdreckten Beinkleidern für die Fotografin. Sehr wahrscheinlich hatten sie damals auch die anstrengenderen Streckenteile bergauf mit Muskelkraft und nicht im überfüllten „J“-Bus oder mit Elektrogas zurückgelegt.
Das Bild stammt aus dem Tirol-Erinnerungs-Album von Trude Schwarz geborene Silberstein. Der zweite von rechts im Bild ist ihr Bruder Hugo, Jahrgang 1912. Trude Schwarz legte das Album an, als sie 1938 wie alle jüdischen InnsbruckerInnen gezwungen war, die Stadt zu verlassen. Auch der 18jährige Felix Adler nahm so ein Tirol-Album mit auf die Flucht; er ging dafür auch noch einmal extra mit den Eltern in die Stadt um sich vor dem Goldenen Dachl und in der Maria-Theresien-Straße fotografieren zu lassen. Andere, wie die Familie Schindler, dokumentierten ihre Innsbrucker Firmen in solchen Alben und schrieben voraussehend deutsche und englische Bildtexte dazu.
Gad Hugo Sella, der in Israel statt dem deutschen klingenden Silberstein den Namen des geliebten Gebirgsmassivs in den Dolomiten annahm, verdanken wir ein besonderes Buch, das er 1979 in Tel Aviv publizierte; er versuchte darin, den Schicksalen aller vertriebenen Innsbrucker Jüdinnen und Juden nachzuspüren. Diese Recherchen wären heute mangels lebender Zeitzeugen unmöglich; er kannte viele der Familien persönlich und fragte sich sonst von einer zur nächsten durch. Das Buch war und bleibt die Grundlage für alle weiteren biographischen Recherchen zu jüdischen Bevölkerung Innsbrucks und Tirols. Die Begleiter auf der Radtour im Bild oben kennen wir nicht alle namentlich. Sie dürften aber auch aus der kleinen jüdischen Gemeinde Innsbrucks gewesen sein. Im Einleitungstext seines Buches schrieb Gad Hugo Sella über das Leben der jüdischen Jugend Tirols einen mittlerweile sehr bekannten Satz, der die von Arierparagraphen in Alpen- und Turnvereinen geprägte Realität der 1930er beschreibt: „Wir lebten wie sie, aber abseits von ihnen.“
In Israel war Hugo Sella im Polizeidienst tätig; er organisierte von dort aus 1973 die erste Reise der dort lebenden vertriebenen InnsbruckerInnen zurück in die alte Heimatstadt. Er galt als sympathisch und durchaus streitbar… mit den Vorständen der Innsbrucker Kultusgemeinde war er recht selten einer Meinung, wie er auch in seinem Buch andeutet. Wenn er in Innsbruck Station machte, wohnte er übrigens immer im Hotel Mozart.