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Nachhilfe Für Die „Jünger Von Der Gelben Puch“?

Nachhilfe für die „Jünger von der gelben Puch“?

Die Innsbrucker Zeitungen griffen das Thema „Verkehrserziehung“ erstmals in den 1930-Jahren auf. So berichtete etwa der Tiroler Anzeiger im Juli 1935 unter der Überschrift „Eine Stadt ohne tödlichen Autounfall“ über die – offenbar erfolgreichen – Maßnahmen und Schulungen, die die Behörden im englischen Sunderland ergriffen hatten…. Aber auch in Innsbruck war man nicht untätig geblieben. Wie die Innsbruck Nachrichten im September 1935 berichteten, erfreute sich die sogenannte „Gehschule“ regen Zuspruchs:

Sämtliche Schulleitungen Innsbrucks haben die Notwendig­keit der Verkehrserziehung der Schuljugend ein­gesehen und so beteiligte sich gestern fast die ganze Schuljugend Innsbrucks geschlossen an den Gehübungen an der Kreuzung der Straßenzüge Museumstraße – Meinhardstraße -Straßen der Sudetendeutschen; was gestern noch nicht erfaßt wurde, wird heute die Verkehrsübung nachholen. Die geschlossen anmarschierende Schuljugend wurde vor dem Betreten der Kreuzung vom Revierinspektor Leitl empfan­gen, der unter Einfühlung auf die verschiedenen Altersstufen erst das Verhalten auf der Kreuzung selbst und die Zeichen des Verkehrsschutzmannss erklärte, dann die Kinder ordnungs­gemäß über die Kreuzung und wieder zurück führte und ihnen schließlich ganz schulmäßig durch Frage und Antwort die an der Hauswand am Beginn über dem gedeckten Sillkanal an­gebrachten internationalen Verbots- und Warnungstafeln er­läuterte. Alle taten mit Ernst und Begeisterung mit und gar viele kamen in ihrer Freizeit abermals zur Schulkreuzung, um durch Beobachtung und Fragestellung noch mehr „Verkehr“ zu lernen. Bei den Uebungen auf der Gehschule beteiligte sich aber auch die übrige Bevölkerung Innsbrucks in starkem Maße; es ist erfreulich, wie viele Erwachsene und Junge sich gerne belehren lassen und so an der Unfallsverhütung mitarbeiten. […] IN v. 21.9.1935, 12.

An diesem Muster scheint sich in den folgenden Jahrzehnten nicht viel geändert zu haben, wie die Dokumentation der Innsbrucker Verkehrserziehungswoche aus dem Jahr 1951 zeigt. Diese ging vom 4. bis zum 9. Juni über die Bühne. Im Mittelpunkt standen dabei „neben der längst bekannten und auch bewährten Schulkreuzung Sillgasse – Museumstraße mit den dort aufgestellten wichtigsten Verkehrstafel, eine besondere Schulkreuzung (Kinderkreuzung= in der Falkstraße mit einer improvisierten elektrisch betriebenen Verkehrsampel“. Der untenstehende Bilderreigen vermittelt einen guten Eindruck vom Programm.

Insgesamt nahmen an der Verkehrserziehungswoche 1951 nicht weniger als 11.231 Innsbrucker Schülerinnen und Schüler teil. Hinsichtlich der Wirkung zeigte sich die sozialdemokratische Volkszeitung jedoch skeptisch. Süffisant heißt es dort:

Nun hat also die Verkehrserziehungswoche begonnen. Freitag und Samstag haben sich die Verkehrsteilnehmer mit den verschie­densten Vehikeln noch einmal gründlich aus­getobt und dafür gesorgt, daß die Verkehrs­unfallsstatistik des Monats Juni auch trotz eventueller Auswirkungen der Verkehrs­erziehungswoche nicht zu große Kurven nach unten bekommt und die Notwendigkeit einer Verkehrserziehung im letzten Augenblick noch gebührend unterstrichen wird. Die ersten Folgen der Erziehungswoche machen sich auch schon bemerkbar. Die Be­sitzer von Fahrrädern ohne Licht, Glocke usw. gehen entweder eine Woche zu Fuß, um dten nun besonders wachen „Augen des Ge­setzes“ nicht aufzufallen oder sie schauen sich einmal, per pedes wandelnd, die Brenn­punkte“ behördlichen Interesses an und ziehen weniger belebte Straßen zur weiteren Fortbewegung vor. Die Autofahrer schauen sich zweimal, statt wie sonst einmal, um, be­vor sie Kurven schneiden und die „Jünger von der gelben Puch“ verlegen ihre Auffahr­ten mehr in die Randbezirke. Die Besitzer von einschlägigen Fachgeschäften reiben sich die Hände und haben Ausrüstungsgegenstände für die Fahrzeuge in genügender Menge nachbestellt, die Schulkinder freuen sich der „Unterrichtsstunden im Verkehr“, nachdem ihnen die Lust an der Schule angesichts der steigenden Wassertemperaturen und der näherrückenden Ferien langsam, aber si­cher vergeht. Die Polizisten stecken sich zwei Bleistifte und drei Strafblocks ein, um allen Anfor­derungen gerecht werden zu können und die „Motorisierte“, der Schreck aller Verkehrs­sünder und damit aller Straßenbenützer, hat den Benzintank bis zum Ueberlaufen gefüllt. Die Verkehrszeichenübersicht, die an der Kreuzung Sillgasse-Museumstraße aufge­baut ist, harrt der zahlreichen Interessenten, die kommen sollen – aber nicht kommen werden – um sich gratis und franko infor­mieren zu lassen. Die Presse strotzt von Er­ziehungsregeln und Parolen, die niemand liest, in den Kinos läuft ein Vorfilm über Verkehrsunfälle, der interessiert verfolgft und ehebaldigst vergessen wird. Sogar die Straßenbahn legte am liebsten ihre Vorderfront in betrübte Falten, wenn sie auf ein­gleisigen Strecken wider die Vorschrift links fahren muß. So steht eindeutig fest, daß zumindest alle Verkehrsteilnehmer von der Tatsache der Verkehrserziehungswoche Kenntnis genom­men haben und wenigstens diese Tage ma­kellos hinter sich zu bringen suchen. […] (Volkszeitung, 5.6.1951, 4.)

Fotos: Historisches Archiv der LPD Tirol, Chronik der Bundespolizeidirektion Innsbruck.

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare
      1. Das ist mir schon klar, aber es ist nie so richtig klar gewesen, wozu so „Tafeltafeln“ gut sein sollten. Das war das größere Rätsel als der Standort, den Sie damals mit „Sillgasse“ wahrscheinlich exakt getroffen haben. Jetzt kann man wenigstens zum Sinn der Museumsstraßentafel – Verkehrserziehung der Bevölkerung – eine Parallele sehen. Die Verkehrszeichen sind im früheren Beispiel in anderer Reihenfolge und nicht einmal im selben Umfang angebracht, der Grund der Anbringung an der Bombenruine wird aber schon damals der gleiche gewesen sein. Denk ich mir halt.

        1. Ich war gestern abends nur zu faul dazu, aber eigentlich wollte ich in meinem Eintrag noch einfügen, dass wir nun endlich wissen, wozu diese Wand mit den Verkehrszeichen in https://innsbruck-erinnert.at/schilderwand/ wirklich diente!
          Im Zeitungsausschnitt aus dem Jahre 1935 konnten wir nun erfahren, dass der Revierinspektor Leitl „die an der Hauswand ….. über dem gedeckten Sillkanal an-gebrachten internationalen Verbots- und Warnungstafeln er¬läuterte“. In den ersten derartigen Veranstaltungen nach dem Kriege war es sicher nicht mehr möglich, diesen Platz neben der Kreuzung zu verwenden. Die Holzabdeckung des Sillkanals in diesem Bereich (ich kann mich noch gut daran erinnern) wird in dieser Zeit nicht besser und die Menschenmenge größer geworden sein. Man wich in die durch Bomben geschaffene Lücke in der Sillgasse aus. Erst mit der Zuschüttung des Sillkanals war der Platz vor dem Haus Museumstraße 23 wieder für diese Veranstaltung verwendbar.
          Im Beitrag https://innsbruck-erinnert.at/kriminal-tango-2/ sieht man den zugeschütteten Sillkanal

  1. Fantastische Dokumentation, danke!
    Der Eindruck entsteht bei mir, dass die Bim trotz ihrer bevorrangten Sonderrolle im Straßenverkehr und der systembedingten besonderen Gefährlichkeit nur am Rande eine Rolle spielte. In einem Verkehrserziehungsfilm aus den 1950ern aus Wien, den ich mal irgendwo gesehen habe, drehte sich der halbe Film um den Schienenverkehr. Hier ist nicht mal in der Fotodokumentation eine Bahn zu sehen.
    Vielleicht ist damit ein Grund gefunden für die mir schon immer unerklärliche Respektlosigkeit so vieler Innsbrucker:innen gegenüber dem städtischen Schienenverkehr: das Verhalten in der Nähe von Straßenbahnen wurde (und wird?) hier möglicherweise über Generationen hinweg nicht ordentlich geschult. Dass die Bim vor einem Schutzweg nicht halten muss, wissen viele heute, nach 123 Jahren Straßenbahn in dieser Stadt, noch immer nicht. Dass ein knapp 60 Meter langer doppelter Straßenbahnzug der IVB mit Passagieren um die 100 Tonnen wiegt und damit mehr als eine vollgetankte Boeing 737 und dementsprechend aus voller Fahrt einen etwas längeren Bremsweg hat und etwas mehr Schaden anrichten kann als z.B. ein Bus, scheint vielen gar nicht klar zu sein, die zu Fuß (oft mit den Augen am Smartphone), mit dem Fahrrad oder dem Auto direkt vor der Bahn noch über die Schienen bummeln oder den Gleiskörper blockieren. Ob die seit einer Weile laufende Aushang-Kampagne der IVB daran etwas ändern wird?

    1. Den dem fehlenden Hausverstand nachhelfenden Warn- oder Aufklärungshinweis müßte man direkt beim Zebrastreifen anbringen. Die selbe Ignoranz physikalischer Gesetze übt man auch gegenüber anderen Fahrzeuge, für die man genauso den Nullmeter Bremsweg voraussetzt und den Zebrastreifen ohne links oder rechts zu schauen betritt. In Öffis gibts wegen der Schnellbremsung dann oft genug „Stellvertreterverletzte“…

    2. Aber gehns, Herr Schneiderbauer – Sie kennen doch die zwei typischen Tiroler Antworts-Stereotype:
      Hinweise auf ein mögliches nicht ideales (bezw. „Fehl…“)Verhalten werden mit der Antwort quittiert:

      „aber des hammer allweil sooooooo g’macht!“
      wohingegen eventuelle Verbesserungsvorschläge eisern mit einem
      „Naaa! Sooooo hammer dees nia g’macht!“
      entswchieden abgeschmettert werden.
      Und Schuld hat – na wer? der Bedienstete der IVB „weil der hätt aa bremsn kennen – oder isch der blind?“
      Stimmts, Herr Schneiderbauer? – oder hab ich Recht…?

      1. Stimmt genau, Frau Stepanek. Und genau dasselbe hört/liest man auch von den Wienern in Wien über sich selber. Ich glaube, das gehört zur gesamt-österreichischen Seele!

  2. Bliebe noch, ehe der Beitrag in die Archivstarre übergeht zu klären, was es mit „und die ‚Jünger von der gelben Puch‘ verlegen ihre Auffahr­ten mehr in die Randbezirke“ auf sich hat. Die Gelbe Puch war eine 250 TF mit damals wahrscheinlich respektablen 12 PS, Und deren Fahrer? Anscheinend stadtberüchtigte Ruachn, längst aus dem Kollektivgedächtnis verschwunden?
    Vielleicht weiß es wer.

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