Mit dem Flieger auf die Seegrube I
Diese geradezu fantastisch amutende Idee verfolgte in den späten 1920er-Jahren die Firma „Tiroler Fliegerverband Innsbruck, Verbandsflugbetrieb“ (im Sommer 1926 in „Alpenflug-Gesellschaft Innsbruck“ umbenannt), hinter der als treibende Kraft der schillernde Innsbrucker Oskar Hummel (1890-1955) stand. Anstatt eine Seilbahn an der Nordkette zu errichten, warb er für den Bau eines Höhenflugplatzes auf der Seegrube. Mittels zweier Flugzeuge, die jeweils Platz für etwa acht Passagiere bieten sollten, wollte Hummel Einheimische und Gäste in 10 Minuten vom Flughafen in der Reichenau auf die Seegrube fliegen. Etwa 20 Berg- und Talflüge sollten die beiden Passagiermaschinen täglich absolvieren.
„An die Ausführung dieses Projektes wäre nie zu denken, wenn nicht die Natur selbst durch die terrassenförmige Einbuchtung, die ‚Seegruben‘ genannt, in 2000 m Höhe die Grundbedingungen geschaffen hätte, mit verhältnismäßig geringsten Mitteln einen Hochflugplatz von mindestens 500 m Länge und 200 m Breite anlegen zu können, der dem landenden Flugzeuge vollste Sicherheit gewährt. Die erforderlichen Planierungsarbeiten verschwinden im Verhältnis zum Trassenbau einer Seilbahn, andererseits wird dieser Hochflugplatz dank seiner exponierten Lage von allen Gegenden des Inntales und des südlichen Mittelgebirges aus, gleich einem Adlerhorste, weithin sichtbar und besonders für den Innsbrucker Korso, die weltbekannte Maria-Theresien-Straße, Tag und Nacht von geradezu bezwingender Einladung sein, findet doch auch der das ganze Tal frei beherrschende Höhenflug selbst schon seine Reize, die viele anziehen werden“, heißt es in einer Broschüre der Projektwerber.
An einer Stelle bezifferte Hummel den Kapitalbedarf für den Höhenflugplatz mit 300.000 Schilling (rund 1,75 Millionen Euro), dann ist wieder die Rede von 600.000 Schilling (inkl. 180.000 Schilling zur Errichtung eines Gasthofes auf der Seegrube). Diese Abweichungen deuten schon daraufhin, dass das Projekt auf tönernen Füßen stand. Hummel allerdings träumte von sechs bis acht Höhenflugplätzen in ganz Tirol, der Flughafen Seegrube sollte nur der Anfang sein. Auch ein eigenes Flugzeugwerk in der Reichenau und eine Flugschule wollte er in Innsbruck gründen.
Als Hummel mit seinen kühnen Ideen Ende August 1926 an die Öffentlichkeit trat, erregte er durchaus einige Aufmerksmakeit. Allerdings konnten es sich manche Zeitgenossen nicht verkneifen, mit spitzer Feder über das Projekt zu berichten. Hummel erhob schließlich gegen einen Autor, der das Projekt als „Luftgeschäft“ und „Faschingsscherz“ bezeichnet und Hummel unlautere Absichten unterstellt hatte, Klage, wegen „Ehrenbeleidung durch die Presse“.
Allerdings verloren im Laufe des Jahres 1927 auch die Redaktionen von Zeitungen, die zunächst durchaus neutral über Hummels Visionen berichtet hatten, den Glauben an das Projekt. So gaben etwa die „Innsbrucker Nachrichten“ am 8. Juni 1927 bekannt: „Auch wir erhielten ein an die Presse gerichtetes Schreiben der Alpenfluggesellschaft Oskar Hummel & Co. in Innsbruck, das sich neuerdings mit dem Projekt „Höhenflugplatz Seegrube“ beschäftigt. Wir halten dieses Projekt für phantastisch und glauben, unsere Leser mit der Wiederaufwärmung dieser Geschichte verschonen zu sollen. Wir sind der Meinung, daß auch die übrige ernst zu nehmende Tagespresse gut daran täte, sich bei einer Diskussion über die Pläne der Alpenfluggesellschaft eine gewisse Reserve aufzuerlegen.“
(StAI, Archiv der Nordkettenbahn, Krt. 60)
Tja, der Hubschrauber war damals zwar schon erfunden, aber er funktionierte noch nicht.
Innsbruck hätte mit Hummels Flugplatz spielend der Youtube-Sensation „Anflug auf Lukla“ Konkurrenz gemacht. Natürlich alles eine Verschwörung der Seilbahnlobby, daß nix draus geworden ist.
Aber eine im doppelten Sinn tolle Planskizze! Planpunkt 6 bezeichnet dann wohl die Stelle, wo der ganze Plan ins Wasser gefallen ist.
Jetzt aber Schluß mit dem Verspotten eines unglücklichen Menschen, der vom Fliegen geradezu beseelt gewesen sein muß.
Hier noch ein paar ungebetene Fotos aus meinem Archiv. Hummel hat sich ein eigenes Flugzeug gebaut (es flog aber nie), und betrieb eine kurze Zeit eine Flugzeugwerkstatt in der Exlbühne.
https://postimg.cc/y3XLYhQC
https://postimg.cc/KK6fPpCy
https://postimg.cc/1fmkV4pr
Vielen Dank für die außergewöhnlichen Aufnahmen aus Ihrem Archiv! Wäre es eventuell möglich, dass Sie uns Scans von diesen Fotos fürs Archiv überlassen?
Beste Grüße,
Matthias Egger
per Stadtarchiv-email post.stadtarchiv@innsbruck.gv.at–
Ja, bitte. Besten Dank & ein schönes Wochenende!
Die Exlbühne als Flugzeugwerkstatt und die anderen Aufnahmen sind absolut fantastische Fotos und Rarissima, vielen Dank!
Sehr interessant ist auch das Foto vom „ersten in Tirol gebauten Flugzeug“ von 1923.
Zu diesem Bildmaterial passt vielleicht ein Artikel aus dem Tiroler Anzeiger vom 6. März 1926, also drei Jahre später, in dem möglicherweise von einem ganz ähnlichen Flugzeug des Oskar Hummel die Rede ist:
„Das erste in Tirol erbaute Flugzeug. In den
Tiroler Alpenflieger-Werken in Innsbruck, die in den
Werkstätten der Werk- und Rohstoffsgenossenschaft der
Tischler Innsbrucks, Innrain 54, untergebracht sind,
geht jetzt das erste in Tirol erbaute Flugzeug seiner
Vollendung entgegen. Die Tiroler Alpenflieger-Werke
sind eine Abteilung des Tiroler Fliegerverband-Flug-
betriebes, der in Hinkunft Rundflüge und eine Flie-
gerschule mit Feldpilot a. D. F. Inngauer-Chizzali als
Fluglehrer einrichten will. Das Unternehmen steht
unter Leitung des Ing. Oskar Hummel. Das Flugzeug
ist ein Eindecker und als Sportflugzeug mit bloß
einem Sitz für den Piloten gebaut. Sein Leib ist
grün, während die Tragflächen aus Fournierholz und
der Schweif aluminiumgrau gestrichen sind. Es ist
4.20 Meter lang, 7.50 Meter breit und 1.10 Meter hoch;
sein Leergewicht beträgt 130 Kilo, die Zuladung (Pilot
und Benzin) 100 Kilo, Höchstflugdauer 6 Stunden und
größte Reichweite 1000 Kilometer Mit Ausnahme des
Harley-Davidson-Motors, des Propellers und des Ge
schwindigkeitsmessers wurde das ganze Flugzeug aus
heimischen Erzeugnissen hergestellt. Um die Tischler-
arbeiten machte sich besonders Willy Wisneky jun. ver-
dient. Wenn keine besonderen Zwischenfälle eintreten,
soll das Flugzeug die nächste Woche seinen Probeflug
machen. Im Serienbau würden sich die Anschaffungs-
Kosten eines solchen Flugzeuges auf 5.000 Schilling
stellen.“
Der Vater von Oskar Hummel war der Malermeister und Farbenhändler Christof Hummel. Um 1903 hatte er seine Firma in der Andreas-Hofer-Straße 4.
Der Großvater von Oskar Hummel hieß ebenfalls Christof Hummel, verstorben 1896. Dieser rettete anno dazumal auf tollkühne Weise eine ertrinkende Frau aus dem Sillkanal, wie im Innsbrucker Tagblatt vom 19. Mai 1876 berichtet wird:
„(Errettung aus großer Gefahr.) Gestern Nachmittags
beiläufig um 5 Uhr fiel oberhalb der ehem. Baur’schen Fabrik
in Wilten eine etwa 60 Jahre alte Frauensperson, welche mit
Begießen im Garten beschäftigt war, in den Sillkanal. Sie
passirte das bei der Seppi’schen Schlosserei befindliche Wasserrad
und auch den Theil des Kanals, welcher überbaut ist und war
daran, im nächsten Augenblick unter die Wasserräder der Hibler‘-
schen Feigenkaffee – Fabrik zu kommen, als der 63jährige Herr
Christof Hummel, welcher gegenwärtig bei seinem gleich-
namigen Sohn auf Besuch hier anwesend ist, die über den Kanal
gespannte Kette ergriff, mit Muth und Geistesgegenwart in das
Wasser sprang, die im nächsten Augenblick rettungslos Gewesene
dem Wasser entriß und ihr so das Leben rettete.“
Vielen Dank für diese interessanten Ergänzungen zu Oskar Hummel und seiner Familiengeschichte!
Beste Grüße,
Matthias Egger