MacGyver lässt Grüßen
Man zerlege sein Segelflugzeug, nehme ein paar Holzbretter, etwas Schmierseife und ein Gummiseil, rekrutiere ein paar hilfsbereite, kräftige Mitmenschen und suche sich eine hochgelegene, aber dennoch gut erreichbare ebene Fläche und schon steht einem Segelflug nichts mehr im Wege. Nein, diese abenteuerliche Anleitung haben wir nicht von MacGyver entlehnt, der bekanntlich schon einmal aus einem alten Kühlschrank, alten Textilien und einigen Propangasflaschen einen flugfähigen Heißluftballon konstruierte. Aber er hätte sicherlich seine Freude daran, zumal sich unsere Anleitung – im Gegensatz zu seinen Münchhausiaden – in der realen Welt bewährt hat. Sie glauben mir nicht? Dann lesen Sie selbst:
Die Neueste Sport-Zeitung berichtete am 21. August 1933: „Zweimal mußte der beabsichtigte Startversuch der Innsbrucker Segelflieger Karl Frena und Dr. Ploner wegen ausgesprochenem Schlechtwetter verschoben werden. Endlich, am gestrigen Sonntag, allerdings zur frühen Morgenzeit, schienen die Wetteraussichten günstig zu sein und der blaßblaue, fast wolkenlose Himmel (selbst dem Firmament ist nicht mehr zu trauen, wie sich später Herausstellen sollte) weckte ahnungslose Hoffnungen. Um 3/4 8 Uhr geht’s mit der Nordkettenbahn zur Seegrube. Der „Sprit of Mauls“, weiland Rhönadler, wird aus seiner Behausung, einem Nebenraum des Seegrubenhotels, in dem er sich’s recht bequem gemacht hatte, erbarmungslos an die kühle Morgenluft gezerrt und Stück für Stück von kundigen Händen mit überraschender Schnelligkeit zusammenmontiert. Emsig bringt eine Bergbahnkabine nach der anderen schaulustiges Publikum zum Startplatz, jawohl direkt zum Startplatz, denn diesmal wollte man das Flugzeug, ohne lange Transportversuche auf irgend einen ‚Mugel‘, gleich von dem westlich neben dem Hotel gelegenen terrassenartigen Platz in die Luft ‚befördern‘. Als, etwa gegen halb 10 Uhr, alle Vorbereitungen beendet waren, mußte man über das Wetter, gelinde gesagt, ungehalten sein. Von Wind keine Spur, dafür hatte sich der blaßblaue, fast wolkenlose Himmel in einen blaugrauen, fast wolkenbedeckten verwandelt und der Segelflieger, den der erste Regentropfen traf, zuckte wie von der Tarantel gestochen zusammen und hat wahrlich kein Dankgebet gesprochen.
Schnell wird noch eine zirka 20 Meter lange Startbahn aus Brettern auf den groben Schotter des Platzes gelegt, mit Schmierseife bearbeitet und dann nimmt die Startmannschaft das Gummiseil auf. Nun bildet, wie bekannt, den Abschluß dieser der Terrasse gegen die Talseite eine ungefähr 75 Zentimeter hohe, recht massive Steinmauer, in deren Nähe das Flugzeug durch die Kraft des Katapultstartes schon genügend hoch sein müßte, um sie gefahrlos zu überfliegen. Durch die ungleichmäßige Mitarbeit eines Teiles der Startmannschaft geriet aber der ‚Sprit of Mauls‘ nach dem Kommando ‚Los!‘ von der glatten Bretterbahn seitlich auf den groben Schotterboden, was ihm natürlich riesig viel Schwung kostete. Mit Mühe brachte Dr. Ploner den Vorderteil des Rumpfes in etwa 30 Zentimeter Höhe über die Mauer und konnte nur durch die Geistesgegenwart, sofort Tiefensteuer zugeben, verhindern, daß das Flugzeugende an der Mauer hängen blieb. Leider war es unter den bereits erwähnten Witterungsverhältnissen dem Flieger nicht möglich, im Segelflug über die Starthöhe zu kommen oder auch nur gleiche Höhe zu halten; denn trotz eifrigster Bemühungen konnte er nirgends auch nur eine Spur von Aufwind antreffen und mußte schließlich nach aussichtslosem ungefähr 20 Minuten langem Gleitflug am Innsbrucker Flughafen landen. Karl Frenas Maschine, die oft erprobte ‚Kassel‘, wartete indessen wohlverwahrt in einem Schuppen am Hafelekar auf ihren Start. Um es gleich vorwegzunehmen: Sie mußte lange warten […].“ Witterungsbeding verzichtete Frena schließlich auf seinen Flug.
In unseren Beständen hat sich eine spektakuläre Fotoserie erhalten, die einen solchen Segelflugstart von der Seegrube zeigt. Sehr wahrscheinlich entstand sie an eben jenem 20. August 1933 (möglich wäre aber auch, dass sie den ersten Start Ploners von der Seegrube am 25. Juni 1933 zeigt).
Herzlichen Dank an die Luftfahrtexpertin Dr. Tanja Chraust für die Unterstützung bei der Recherche!
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, KR-NE 2500 ff)