Ein Brief und viele Fragen
In unseren Beständen findet sich auch dieser Brief des offenbar aus Wien stammenden Soldaten Johann Buchecker mit der doch eher selten anzutreffenden Adressangabe „Arbeiter-Kommando-Führer, Arzler Alpe, Hungerburg, Innsbruck.“ Er schickte den Brief an Elsa Buchecker, Wien 40, Rennweg 4/5. Datiert ist der Brief mit „Arzler Alpe, den 20. Feb. 1941“. Buchecker schrieb u.a:
„Liebes Goscherl u. lieber Ernstibua!
Ich habe heute Deine Karte vom 18.II. erhalten und muß dir zuerst auf dieses mich so schmerzlich berührendes Schreiben antworten. Ich hätte es gleich Vormittag getan wenn ich nicht hätt nach Innsbruck hinunter müssen und erst um 1/2 1h Mittag heraufgekommen wäre. Wir haben nämlich einige Gef[angene] die Professionisten sind, hergeben müssen. Dann bin ich noch in die Herrengasse zum Herrn Forstmeister. Ich war auch beim Frisör und bin furchtbar enttäuscht über die Preise: Haarschneiden u. Rasieren 1.40. Für einen Soldaten zuviel. […].“
Es stellt sich nun die Frage, was die Soldaten eines Arbeitskommandos und die – im Brief nur beiläufig erwähnten – Kriegsgefangenen im Feber 1941 auf der Arzler Alm taten. Aus dem Schrieben von Johann Buchecker geht das leider nicht hervor und auch ein weiterer Brief von ihm, datiert vom 27. Feber 1941, liefert keinen Hinweis. Bedenkt man aber, dass zu dieser Zeit noch an den Lawinenverbauungen im Bereich der Arzler Alm gebaut wurden, liegt es nahe, dass Buchecker und die Kriegsgefangenen dort arbeiten mussten.
Den Anlass für die Verbauung hatte die große Lawine vom 4. Feber 1935 gegeben, die bekanntlich erst in Mühlau zum Stillstand gekommen war und einige Häuser beschädigt hatte. Die ersten Schutzbauten wurden 1939 fertiggestellt; im Sommer 1941 waren auch die Auffangbecken fertig und die Verbauung abgeschlossen (von der NS-Propaganda wurden die Bauarbeiten entsprechend ausgeschlachtet; u.a. wurde betont, dass „auch hier erst nach dem Anschluß durch die finanzielle Kraft des Reiches jene Mittel zur Verfügung gestellt werden, die das Projekt, das bis dahin nur wenig über seine Anfänge hinausgekommen war, einer raschen Verwirklichung“ zugeführt habe).
Über den Einsatz von Kriegsgefangenen auf der Nordkette ist bislang m.W. bislang nichts bekannt; so sind viele Fragen (noch) offen: Arbeiteten die von Buchecker erwähnten Gefangenen tatsächlich an den Lawinenverbauung bei der Arzler Alm? Und wenn ja, seit wann? Aus welchen Stammlagern kamen diese Gefangenen? Unter welchen Bedingungen mussten sie auf dieser Großbaustelle leben und arbeiten? Wie lange waren sie dort eingesetzt? Was passierte mit ihnen, nachdem die Lawinenverbauung fertiggestellt war?
(Stadtarchiv/Stadtmuseum Innsbruck, 2 Briefe Johann Buchecker an Elsa Buchecker).
In der einschlägigen Literatur ist folgendes bekannt:
Im Buch „Stadtflucht 10m/sec: Innsbruck und die Nordkettenbahn ; Beiträge zum 75-Jahr-Jubiläum“ wird auf Seite 212-214, Fußnote 19 der Einsatz von Kriegsgefangenen erwähnt.
Raimund von Klebelsberg bestätigt in seinen „Innsbrucker Erinnerungen“, Seite 300, dass die Lawinenschutzbauten unterhalb der Arzler Alm um 1940 herum mit Hilfe von Kriegesgefangenen errichtet wurden.
Sehr geehrter Herr Auer,
vielen Dank für die Hinweise. Die FN auf S. 212 im Stadtflucht-Band habe ich bei der Vorbereitung des Beitrages leider übersehen. Ich habe mir nun aber die von Ihnen erwähnte FN, die ja auf Klebelsberg verweist, angesehen. Auch bei Klebelsberg selbst habe ich nachgeschlagen. Dort wird der Einsatz der Kgf. beiläufig erwähnt. Antworten auf die oben aufgeworfenen Fragen (Beginn und Dauer, Herkunft, Arbeitsbedingungen, etc.) finden sich dort leider auch nicht. Es scheint also noch ein Forschungsdesiderat zu sein…
mfG
Matthias Egger