Die Phantomstraßenbahn des Ottmar Zieher – Teil 3/3
Glaub auch 1911 nicht, was du siehst
Postkarten, die eine unerklärliche Phantomstraßenbahn vor dem Südbahnhof kurz nach der Jahrhundertwende zeigen und nahverkehrshistorische Rätsel aufwerfen – lesen Sie bitte den ersten und dann den zweiten Teil dieser Serie, falls Sie gerade keine Ahnung haben, worum es hier geht. Haben Sie nachgelesen oder aufgefrischt? Dann kann es ja weitergehen.
Die Suche nach Vergleichsbildern in unseren Archiven förderte schließlich zwei Postkarten zutage, die die miteinander verschmolzenen Bilder als separate Motive zeigten. Hier sehen wir sie nebeneinander:
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Der Bildausschnitt des linken Teils offenbart einen guten Grund für das Geschnipsel: das Hotel ist auf der rechten Seite abgeschnitten. Das rechte Bild hingegen zeigt alles, was am linken fehlt – genaugenommen sogar zu viel.
Der Grund für die Montage dürfte einfach der sein, dass hier das Gebäude rechts abgeschnitten ist, er aber ein Bild wollte auf dem es ganz drauf ist. (…) Also nahm er zwei Bilder, die er schon hatte, und stöpselte sie zusammen.
Manni Schneiderbauer an Werner Schröter
Damit war der Beweis gefunden: das Rohmaterial für den Fake. Näher betrachtet:
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Dank dieser detaillierteren Abbildungen wissen wir jetzt auch, dass es sich um LBIHiT-Triebwagen Nr. 45 handelt, 1905 in der Grazer Waggonfabrik gebaut, nach 40 Betriebsjahren bei einem Bombenangriff 1945 schließlich irreparabel beschädigt und ausgeschieden.
Die Tram steht auf beiden Bildern an exakt der selben Position, nämlich in ihrer Haltestelle. Auch die Datierung konnte dank dieser beiden Postkarten geklärt werden: die Aufnahmen stammen aus 1911, kurz bevor die Verbindungsbahn-Linie mit 30. Dezember dieses Jahres zur Lindengasse nach Pradl verlängert wurde und damit auch die Liniennummer 3 bekam.
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Bei den kolorierten Versionen sieht man die Trickserei weniger, weil auf der Schnittlinie und der Fassade herumgepinselt werden konnte. Da hätte ich das auch nie gesehen. Man erkennt es nur noch an der leichten Verzerrung, das hätte ich aber nie so interpretiert.
Manni Schneiderbauer an Werner Schröter
Teamarbeit, dank der super Ausarbeitung fiel alles auf.
Werner Schröter an Manni Schneiderbauer
Ja – und ich finde das sehr spannend, wie vor hundert Jahren schon analog herumgephotoshoppt worden ist, und zwar so, dass man es noch heute fast glaubt.
Manni Schneiderbauer an Werner Schröter
Ich hoffe, Sie sind auch dieser Meinung und hatten so viel Spaß beim Lesen dieser Geschichte wie ich beim Schreiben. Ottmar Ziehers Phantomstraßenbahn hat es tatsächlich gegeben, sogar an der abgebildeten Position. Geschwindelt war nur die Bildkomposition.
Manni Schneiderbauer
Vielen Dank für die äußerst interessante Artikelreihe, Herr Schneiderbauer, ich habe mich schon die ganze Woche auf Donnerstag gefreut! Auf diese „Lösung“ wäre ich freilich nie gekommen. Ich hoffe, dass Sie in Zukunft noch einiger solcher Fotoserien hier einstellen, Ihre Straßenbahn-Seite verfolge ich bereits seit 2004!
Danke für die netten Worte und die über 20-jährige Treue zu meiner Tram-Website. Das freut mich natürlich ganz besonders! – Auch ich hätte die Trickserei ja nicht durchschaut, wenn nicht Werner Schröter die entscheidenden Hinweise richtig interpretiert hätte. Falls sich weitere interessante Themen finden und das Stadtarchiv es will, werde ich gern wieder etwas schreiben.
Die Lösung ist erstaunlich einfach, wenn ich denn draufgekommen wäre 😉
„Heute“(auch schon 13 Jahre her) würde man es mit Autostitch o.ä. machen; da komme auch ganz interessante Sachen raus:
https://blogger.googleusercontent.com/img/b/R29vZ2xl/AVvXsEjY8RecC4JvmJjE8GX5XKwiqxBoo6vDjKC2VHOl-v4edcZF9sWdjkotYye5lqhyJhI0bsn8ukqvg2y9qAbx-qJemuDkSdshPgmOTph10DrfZIPy8uBH6SRNsRKqCkDRsMWx_JRmQ1Tz0OQD/s1600/pano-igler-kehre-ober-tantegert3-pbg+Kopie.jpg
Super! Wenn das echt wäre, würde das Unterwerk Aldrans vermutlich in einem Ölfeuerball explodieren xD