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Die Stadt Kondoliert

Die Stadt kondoliert

In die „Welt von Gestern“ schildert Stefan Zweig den 28. Juni 1914, einen frühsommerlichen Sonntag, wie folgt: „Der Tag war lind; wolkenlos stand der Himmel über den breiten Kastanienbäumen, und es war ein rechter Tag des Glücklichseins. Nun kamen für die Menschen, die Kinder bald die Ferien, und sie nahmen mit diesem ersten sommerlichen Feiertag gleichsam schon den ganzen Sommer voraus mit seiner seligen Luft, seinem satten Grün und seinem Vergessen aller täglichen Sorgen. Ich saß damals weiter ab vom Gedränge des Kurparks und las ein Buch – ich weiß heute noch, welches es war: Mereschkowskijs ›Tolstoi und Dostojewski‹ – las es aufmerksam und gespannt. Aber doch war der Wind zwischen den Bäumen, das Gezwitscher der Vögel und die vom Kurpark herschwebende Musik gleichzeitig in meinem Bewußtsein. Ich hörte deutlich die Melodien mit, ohne dadurch gestört zu sein, denn unser Ohr ist ja so anpassungsfähig, daß ein andauerndes Geräusch, eine donnernde Straße, ein rauschender Bach nach wenigen Minuten sich völlig dem Bewußtsein eingepaßt und im Gegenteil nur ein unerwartetes Stocken im Rhythmus uns aufhorchen läßt. So hielt ich unwillkürlich im Lesen inne, als plötzlich mitten im Takt die Musik abbrach. Ich wußte nicht, welches Musikstück es war, das die Kurkapelle gespielt hatte. Ich spürte nur, daß die Musik mit einemmal aussetzte. Instinktiv sah ich vom Buche auf. Auch die Menge, die als eine einzige flutende helle Masse zwischen den Bäumen promenierte, schien sich zu verändern; auch sie stockte plötzlich in ihrem Auf und Ab. Es mußte sich etwas ereignet haben. Ich stand auf und sah, daß die Musiker den Musikpavillon verließen. Auch dies war sonderbar, denn das Kurkonzert dauerte sonst eine Stunde oder länger. Irgend etwas mußte dieses brüske Abbrechen veranlaßt haben; nähertretend bemerkte ich, daß die Menschen sich in erregten Gruppen vor dem Musikpavillon um eine offenbar soeben angeheftete Mitteilung zusammendrängten. Es war, wie ich nach wenigen Minuten erfuhr, die Depesche, daß Seine kaiserliche Hoheit, der Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gemahlin, die zu den Manövern nach Bosnien gefahren waren, daselbst einem politischen Meuchelmord zum Opfer gefallen seien. Immer mehr Menschen scharten sich um diesen Anschlag. Einer sagte dem andern die unerwartete Nachricht weiter. Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben: keine sonderliche Erschütterung oder Erbitterung war von den Gesichtern abzulesen. Denn der Thronfolger war keineswegs beliebt gewesen.“

Wenngleich auch Franz Ferdinand und Sophie nicht sonderlich populär waren, so verbreitete sich die Nachricht von ihrer Ermordung noch am 28. Juni 1914 bis in die entlegensten Winkel der Monarchie. Viele Zeitungen, darunter auch die Innsbrucker Nachrichten und das Prager Tagblatt, berichteten in Extrausgaben über das Attentat.

Innsbrucks Bürgermeister Wilhelm Greil wurde noch am 28. Juni 1914 vom k. k. Statthalter in Tirol und Vorarlberg, Friedrich Graf Toggenburg, über die Ereignisse in der bosnischen Landeshauptstadt informiert: „Laut einer telegraphischen Eröffnung des Herrn Ministerpräsidenten sind Seine k. u. k. Hoheit, der durchlauchtigste Herr Erzherzog Franz Ferdinand und Ihre Hoheit, die Frau Herzogin von Hohenberg, heute in Serajevo [sic] einem fluchwürdigen Attentate zum Opfer gefallen. Tieferschüttert erfülle ich die traurige Pflicht, hievon Mitteilung zu machen.“

Mit diesem Schreiben informierte Statthalter Toggenburg den Innsbrucker Bürgermeister über das Attentat.

Am 29. Juni kondolierte Bürgermeister Greil dem Monarchen im Namen der Stadt: „Tieferschüttert durch die entsetzliche Kunde von dem Attentate auf Seine k.u.k. Hoheit den Erzherzog-Thronfolger und Ihre Hoheit die Frau Herzogin von Hohenberg bitte ich im Namen des Gemeinderates der Landeshauptstadt Innsbruck Seiner Majestät die Versicherung tiefster Trauer und herzlichster, wärmste Anteilnahme sowie der unentwegten Treue und Ergebenheit unterbreiten zu wollen.“ Gleichzeitig lud Greil die Gemeinderäte für Dienstag, den 30. Juni 1914, zu einer Trauersitzung ein, zu der die Herren im „schwarzen Rock“ zu erscheinen hatten. Bemerkenswert scheint dabei, dass der Innsbrucker Bürgermeister im Rahmen dieser Trauersitzung „den Gemeinderat [bat], mich zu ermäch­tigen, die Gefühle der innigen Teilnahme des tie­fen Schmerzes sowie der unentwegten Treue und Ergebenheit an die Stufen des Allerhöchsten Thro­nes gelangen zu lassen“, obwohl die oben zitierte Kondolenz-Depesche bereits am Vortrag zur Mittagszeit an die Kabinettskanzlei des Kaiser abgesandt worden war …

(StAI, Mag.-Präsidium, Akt 677 ex 1914 / Slg. Sommer 10_543)

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare
  1. Was wäre gewesen, wenn….. das Attentat von Sarajevo nie stattgefunden hätte? Dann wäre das 20. Jahrhundert unglaublich anders gelaufen, vielleicht hätten wir heute sogar noch die k.k. Monarchie. Damals wurden die Weichen für die Katastrophen des Jahrhunderts gestellt.
    Angefangen den Bach hinterzugehen, hat es ja schon 1889 mit der Tragödie von Mayerling, ohne welche Franz Ferdinand nicht Thronfolger geworden wäre.

  2. Mit dem Ersten Weltkrieg entluden sich wie ein Gewitter die Spannungen welche in den Jahrzehnten zuvor angehäuft worden waren…

    Laut Kaiserin Zita hatte Thronfolger Franz Ferdinand bereits Vorahnungen, dass er ermordet werden würde.

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